Doctor Who
„Vom Himmel hoch“
„The Church on Ruby Road“
Erstausstrahlung: 25. Dezember 2023
Drehbuch: Russell T Davies
Regie: Mark Tonderai
Produktion: Russell T Davies, Julie Gardner, Jane Tranter,
Joel Collins, Phil Collinson & Chris May
Der Doktor: Ncuti Gatwa
Ruby Sunday: Millie Gibson
An einem Sonntag, der zugleich Heiligabend war, wurde ein Baby an der Ruby Road-Kirche ausgesetzt. Es wurde Ruby Sunday getauft und von einer Pflegemutter und deren Mutter großgezogen. An ihrem 18. Geburtstag lernt Ruby den Doktor kennen und erlebt ein aufregendes Abenteuer mit Kobolden und einem gestohlenen Baby. Und vielleicht erfährt sie auch etwas über ihre Herkunft.
Die Jubiläumsspecials liegen hinter uns und waren erwartungsgemäß ein nostalgischer Trip durch die David Tennant-Ära, insbesondere die vierte Staffel der (mittlerweile gar nicht mehr so) neuen Serie. Große Innovationen zu erwarten, wäre hier eindeutig fehl am Platz gewesen und so bekamen wir drei Episoden präsentiert, die genau so auch vor 15 Jahren hätten erscheinen können – doch mit dem neuen Doktor am Ende wurden die Türen für einen Neuanfang geöffnet, der auch inhaltlich abliefern muss. Denn, seien wir ehrlich, die drei Jubiläumsspecials, mit einem der beliebtesten TARDIS-Teams aller Zeiten zurück an Bord – die wären auch erfolgreich gewesen, wenn wir jeweils eine Stunde lang zugesehen hätten, wie der Doktor und Donna die komplette TARDIS-Garderobe durchgebügelt hätten. Aber jetzt zieht der Nostalgiebonus nicht mehr, jetzt muss Doctor Who abliefern und vor allem die Zuschauer halten, die zum Jubiläum eingeschaltet haben und nun neugierig auf die Zukunft sind. Was liegt da näher, als auch die von Chris Chibnall abgeschafften Weihnachtsspecials wieder zurückzuholen und diesen besonderen Anlass direkt als Einstieg in die neue Ära zu wählen, inklusive der Vorstellung der neuen Begleiterin?
In diesem Special begleiten wir den Alltag von Ruby Sunday, einem Findelkind auf der Suche nach ihren Eltern, das am Weihnachtstag geboren, ausgesetzt und vor einer Kirche in der Ruby Road gefunden wurde. Um sie herum geschehen viele Unglücke und Missgeschicke, die direkt den Doktor auf den Plan rufen, um herauszufinden, was es mit Ruby auf sich hat. Neben Ruby lernen wir auch ihre Adoptivfamilie, ihre Nachbarn und schließlich ihre neue Pflegeschwester kennen, die ebenfalls an Weihnachten geboren und als bereits 33. Pflegekind zu Rubys Mutter gebracht wird. Doch einmal nicht aufgepasst, kommen singende Kobolde, entführen das Baby und wollen es ihrem König zum Fraß vorwerfen. Zum Glück ist der Doktor schon zur Stelle, mopst das Kind vor den hungrigen Augen des Koboldkönigs weg und rettet den Tag – allerdings nur so lange, bis er feststellt, dass die Kobolde nun stattdessen in der Zeit zurückgereist sind, um sich ein anderes Kind zu holen: Ruby. Aber auch hier findet der Doktor schnell eine Lösung: Der Koboldkönig wird von der Kirchturmspitze aufgespießt und alles ist wieder gut. Ruby ist wieder gesund und munter und begreift plötzlich, was es mit dem Doktor auf sich hat. Ermutigt durch die schrullige Nachbarin, die alles im Blick zu haben scheint, schließt sie sich dem Doktor und seinen (Zeit-)Reisen an.
Dies ist also der Neubeginn von Doctor Who. So neu, dass man sich sogar entschlossen hat, noch einmal bei Staffel 1 anzufangen. Es soll ein Einstieg für Neulinge sein und ein Zeichen, dass hier eine neue Ära beginnt. Und das tut sie mit einem Paukenschlag! Der neue Doktor weiß sofort die Blicke auf sich zu ziehen und die Handlung mit sich zu reißen. Man versteht sofort, was Russell T Davies meinte, als er sagte, Ncuti Gatwa sei zum Casting gekommen und habe die Rolle sofort ergriffen. Danach gab es keine Alternative mehr und das glaubt man gerne. Die ganze Bandbreite seines schauspielerischen Könnens konnte Gatwa bereits in der hochgelobten Serie „Sex Education“ unter Beweis stellen und so verwundert es nicht, dass der Doktor viel von seiner Rolle dort übernommen hat. Er ist locker, unbeschwert, lebenslustig und mitreißend. Vorbei sind die Zeiten des vom Leben gebeutelten und kurz vor dem Burnout stehenden Time Lords, der die Last des gesamten Universums auf seinen Schultern trug. Der neue Doctor ist frisch, motiviert und vor allem abenteuerlustig. Zum Glück hat man sich auch dafür entschieden, einige Zeit seit seiner Regeneration verstreichen zu lassen, so dass wir uns auch nicht mit potentiellen post-regenerativen Nebenwirkungen herumschlagen müssen, sondern direkt den Charakter präsentiert bekommen, wie er sein soll – was natürlich auch zu einem solchen Soft-Reboot passt.
Aber auch Millie Gibson als Ruby Sunday steht ihrem außerirdischen Kollegen in nichts nach. Man hat sich bei ihrer Figur an dem orientiert, was schon früher gut ankam, und so kauft man sie nicht nur direkt mit ihrer Familie, sondern gleich mitsamt der Nachbarschaft. Die schrulligen Nebencharaktere, die dem Ganzen Farbe verleihen, passen sehr gut in das Setting, das uns hier präsentiert wird, denn im Kern geht es in dieser Episode eigentlich nur um eine kleine Familiengeschichte, die quasi am Rande mit singenden Kobolden angereichert wird. Im letzten Soft-Reboot, also der fünften Staffel, folgten wir dem Doktor, der, geplagt von der gerade erst stattgefundenen Regeneration, sich erst einmal einen Reim auf das Geschehen machen musste. Hier folgen wir Ruby, die vom Doktor, der bereits einen Überblick hat, mitgerissen wird, und haben so einen menschlichen Charakter als Anker, der dem Special die nötige Portion Neugierde verleiht. Ruby zögert nicht, als sie entdeckt, dass Kobolde das Baby entführt haben, sie stürzt sich ins Getümmel und akzeptiert sofort alles, was der Doktor ihr sagt. Sie hat Spaß an dem Abenteuer und sofort eine gute Chemie mit dem Zeitwanderer, dass man auch das Dargebotene nicht in Frage stellt.
Was man allerdings in Frage stellen könnte, ist die bloße Existenz von singenden Kobolden in einem fliegenden Luftschiff. Das ist doch eher Fantasy als Science Fiction, und eigentlich wurde so etwas in Doctor Who immer zumindest versucht zu erklären. Egal wie fantastisch es war, am Ende waren es immer Aliens und Alien-Technologie. Nicht hier. Und das mit Ansage, denn schon im Vorfeld hatte Autor und Showrunner Russell T. Davies angekündigt, dass in Zukunft viele fantastische Elemente in die Serie einfließen werden, nachdem der Spielzeugmacher im letzten Jubiläumsspecial die Türen dafür geöffnet hatte. Für den einen mag das jetzt ein Sakrileg sein, für mich ist es eine weitere Möglichkeit, frischen Wind in das Konzept zu bringen. Und ganz ohne Fantasy kam die Serie zumindest in den letzten Jahren auch nicht aus. Gerade die erste Staffel von Matt Smith ist mindestens genauso märchenhaft und verträumt wie das, was uns hier präsentiert wird. Denn so wie sich hier die Kobolde am Ende in Luft aufgelöst haben, tauchte damals der elfte Doktor einfach wieder auf, weil Amy sich an ihn erinnert hat. Die Serie darf ruhig märchenhaft sein, wenn es gut gemacht ist.
Generell scheint sich Russell T Davies hier an der Art und Weise orientiert zu haben, wie sein damaliger direkter Nachfolger Steven Moffat oft an die Serie herangegangen ist. Kindliche Gedanken verträumt wiederzugeben und sie gewissermaßen in das Gefüge von Doctor Who einzuweben, ohne sie groß zu thematisieren. Denn die Kobolde, die von (unglücklichen) Zufällen angezogen werden, deren Sprache das Knüpfen von Knoten ist und die (möglicherweise) für alle Missgeschicke verantwortlich sind, sind nicht weit entfernt von Fragen wie „Was ist, wenn sich Statuen bewegen, wenn wir nicht hinsehen„, „Woher kommt die Angst vor etwas unter dem Bett“ oder „Gibt es Geheimnisse in unseren Augenwinkeln, wo wir unbewusst nicht hinschauen„. Vielleicht nicht ganz so subtil, aber zumindest aus dem gleichen Lehrbuch. Aber so ein Lehrbuch hat RTD natürlich auch selbst und mischt hier gleich ein paar seiner Doctor-Who-Evergreens unter: Rätsel. Mit gleich zwei rätselhaften Figuren, Rubys leibliche Mutter und Mrs. Flood, wird in bester New-Who-Manier die Büchse der Diskussionspandora(ic)a geöffnet und so konnte man bisher (interessanterweise für beide Figuren unabhängig voneinander) schon lesen, dass sie die Rani, der Master, der (13.) Doktor, das zeitlose Kind, eine alte Ruby aus der Zukunft oder Manuel Neuer sind. Was es am Ende sein wird? Wahrscheinlich keine dieser Theorien. Bei RTD wäre es nicht einmal verwunderlich, wenn es keine richtige Auflösung gäbe (wer war nochmal die alte Frau in „Das Ende der Zeit“, die Wilf immer wieder erschien und später bei Rassilon und den anderen Time Lords war und den Doktor bedeutungsschwanger ansah?) oder diese in einem Staffelfinale in einem Nebensatz aus dem Hut gezaubert würde. Fakt ist jedoch, dass beide Mysterien zum Rätseln und Diskutieren anregen und genau das ist die Daseinsberechtigung dieser Figuren.
In technischer Hinsicht zeigt dieses Special viel mehr als die drei vorherigen, dass ein viel größeres Budget zur Verfügung stand. Die Kulissen, die Computereffekte, die Kostüme der Kobolde. Alles wirkte hochwertig und teuer. Zu keinem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, hier einen billigen Effekt oder ein eher unpraktisches Kostüm zu sehen. Doctor Who hat selten besser ausgesehen als in dieser Episode – das Disney-Geld hat sich gelohnt. Von Disneyfizierung hingegen ist trotz einer kurzen Gesangsnummer nichts zu spüren. Zwar ist bekannt, dass auf Wunsch von Disney der Anfang etwas verändert wurde, weil man den Doktor früher für den Zuschauer greifbar machen wollte. So ist die ganze Szene mit dem riesigen Schneemann, der auf den Doktor fällt, tatsächlich ein Nachdreh gewesen – was man aber gar nicht merkt, da sie sich hervorragend in die Stimmung der Folge einfügt. Und wer jetzt Angst hat, dass ab jetzt in jeder Folge gesungen und getanzt wird, der sollte vielleicht noch einmal einen Realitätscheck machen. Zumal diese Episode so oder so ähnlich auch perfekt in die Matt Smith Ära gepasst hätte und da hätte auch niemand gesagt, dass es an Disney liegt, dass gesungen und getanzt wird – oder vergesse ich hier irgendwelche Gesangsnummern in den Marvel und Star Wars Serien?
Alles abseits der Kobolde war dann eher bodenständig und im Grunde die Geschichte einer kleinen Familie, die sich gefunden hat und irgendwie funktioniert. Die aufopfernde Pflegemutter, die junge, wilde Adoptivtochter und die liebevolle, schrullige Großmutter im Schlafzimmer. Diese Figuren funktionierten so gut, dass der kurze Schreckmoment, als die Zeit umgeschrieben und gezeigt wurde, wie einsam und verbittert die beiden alten Damen ohne ihre Tochter/Enkelin gewesen wären, tatsächlich an die Nieren ging. Man mag es als schmalzig empfinden, dass so eine melancholische Szene kurz vor dem Ende kommt, aber es ist ja ein Weihnachtsspecial und an Weihnachten darf man emotional sein. Wann, wenn nicht an Weihnachten, kochen Gefühle, Nostalgie, Familiengeschichte und Melancholie so hoch, dass man so etwas nicht nur verzeiht, sondern fast schon erwartet? An Weihnachten darf man das, und deshalb hat auch dieser kurze, schaurig-traurige Moment, in dem selbst der Doktor emotional wird, seine Berechtigung. Solange er am Ende den (Weihnachts-)Tag rettet.
Fazit
Es ist wahrscheinlich das weihnachtlichste Weihnachtsspecial aus der Feder von Russell T Davies und in der Tat die beste seiner Einstiegsfolgen mit neuem Doktor und Begleiter. Das Special ist verträumt, märchenhaft und stimmungsvoll. Es streut Mysterien ein, die neugierig auf die Zukunft machen, hat unterhaltsame Bösewichte(l) und stellt ein absolut sympathisches neues TARDIS-Duo vor. Es funktioniert als Weihnachtsgeschichte, es funktioniert als (Neu-)Einstieg und es läutet tatsächlich eine neue Ära ein. Gerne mehr davon!
Bewertung: 4,5 von 5 TARDISe
Wichtige Links zu den Specials:
- “Vom Himmel Hoch” bei Disney+
- “The Church on Ruby Road“ im BBC iPlayer
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- Englische DVD
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