Der Kriegsdoktor

Der Kriegsdoktor

John Hurt

Lange Zeit gab es eine Lücke in der Zählung. Zwischen dem achten und dem neunten Doktor klaffte ein Loch, ein dunkles Geheimnis, über das der Doktor selbst nicht sprach. Er zählte ihn nicht mit. Er war der „Abtrünnige“, der Schlächter, derjenige, der das Versprechen des Namens „Doktor“ gebrochen hatte. Erst zum 50. Jubiläum der Serie erfuhren wir die Wahrheit über den Kriegsdoktor – eine Inkarnation, die nicht aus Abenteuerlust geboren wurde, sondern aus purer Notwendigkeit, um das Undenkbare zu tun.


Teil I: Der Krieger in der Hölle

Geboren, um zu töten

Der Kriegsdoktor kam nicht mit einem Lächeln oder einem neuen Outfit auf die Welt. Er wurde auf dem Planeten Karn geboren, künstlich herbeigeführt durch einen Trank der Schwesternschaft, nachdem der achte Doktor erkannt hatte, dass das Universum im „Letzten Großen Zeitkrieg“ keinen Heiler mehr brauchte. Er brauchte einen Krieger. Als der achte Doktor das Elixier trank, wünschte er sich keine Eigenschaften wie Witz oder Charme, sondern Stärke. Seine ersten Worte als junge Version des Kriegsdoktors waren kalt und entschlossen: „Doktor nicht mehr.“ (Doctor no more).

Er legte den Namen ab. Für Hunderte von Jahren kämpfte er an der Frontlinie eines Krieges, der die Realität selbst zerriss. Er sah Dinge, die jeden anderen Verstand gebrochen hätten: die Horde der Travestien, das Albtraum-Kind, den Schädelmond. Er wurde alt in diesem Krieg. Sein Gesicht verhärtete sich, sein Bart wurde grau, seine Augen müde.

Ein Mann ohne Hoffung

Im Gegensatz zu seinen anderen Inkarnationen trug er keine exzentrische Kleidung. Er trug eine abgewetzte Lederjacke, einen zerlumpten Schal und Gamaschen – eine Mischung aus Abenteurer und soldatischem Pragmatismus. Statt eines Schallschraubenziehers (den er zwar besaß, aber selten nutzte) trug er einen Patronengurt.

Er war kein grausamer Mann, aber ein zutiefst trauriger. Er tat, was getan werden musste, ohne Freude daran zu haben. Er war der Mann, der die schwierigen Entscheidungen traf, damit seine zukünftigen Ichs (der Neunte, Zehnte und Elfte) den Luxus haben konnten, saubere Hände zu behalten. Er war der Sündenbock seiner eigenen Seele.

Der Tag des Doktors

Am letzten Tag des Zeitkrieges, als Gallifrey kurz vor dem Fall stand und die Dalek-Flotte den Himmel verdunkelte, stahl der Kriegsdoktor die ultimative Waffe: „Das Moment“. Es war eine Waffe mit Bewusstsein, so mächtig, dass sie über die Zeit urteilen konnte. Er plante, Gallifrey und die Daleks gemeinsam auszulöschen, um das Universum vor dem ewigen Horror des Krieges zu retten. Er war bereit, 2,47 Milliarden Kinder auf Gallifrey zu opfern, um den Rest der Schöpfung zu bewahren.

Doch „Das Moment“ hatte ein Gewissen. Es nahm die Gestalt von Rose Tyler (als „Bad Wolf“) an und zeigte dem Kriegsdoktor seine Zukunft – den zehnten und elften Doktor.

Das Zusammentreffen dieser drei Inkarnationen in Der Tag des Doktors war faszinierend. Der Kriegsdoktor war der mürrische Großvater, der von seinen kindischen, hyperaktiven zukünftigen Versionen genervt war („Warum zeigen die ständig aufeinander mit ihren Schallschraubenziehern, als wären es Wasserpistolen?“). Doch er sah auch den Schmerz in ihnen, den Schmerz, der entstand, weil er den Knopf gedrückt hatte.

Die Erlösung

Es war der wichtigste Moment in der Geschichte des Charakters. Durch das Eingreifen von Clara Oswald und die Zusammenarbeit aller dreizehn Doktoren (sogar Peter Capaldi flog kurz vorbei) fanden sie einen anderen Weg. Sie vernichteten Gallifrey nicht, sondern froren es in einem einzelnen Moment der Zeit ein, in einem Taschenuniversum. Die Daleks vernichteten sich im Kreuzfeuer selbst.

Der Kriegsdoktor hatte nicht versagt. Er war kein Monster. Er war der Doktor. Seine zukünftigen Ichs erkannten ihn endlich an. „Du warst der Doktor an dem Tag, an dem es unmöglich war, einer zu sein“, sagte der elfte Doktor zu ihm.

Ein friedliches Ende

Da die Zeitlinien sich nach dem Treffen wieder trennten, wusste der Kriegsdoktor, dass er sich an diese Rettung nicht erinnern würde. Er musste in seine Zeit zurückkehren und glauben, er hätte Gallifrey verbrannt. Er nahm diese Last freiwillig wieder auf sich.

Zurück in seiner TARDIS, zufrieden mit dem Wissen, dass er das Richtige getan hatte (auch wenn er es vergessen würde), spürte er, wie sein alter Körper aufgab. „Ja, natürlich. Ziemlich abgenutzt“, murmelte er. Die Regeneration setzte ein, sanft und ruhig. Seine Gesichtszüge begannen sich zu verhärten, die Ohren wurden größer, und die Ära des neunten Doktors begann.


Teil II: Sir John Hurt – Die Stimme der Seele

Ein Gigant des Kinos

John Vincent Hurt wurde am 22. Januar 1940 in Chesterfield, Derbyshire, geboren. Als Sohn eines anglikanischen Pfarrers und einer Ingenieurin wuchs er in einem strengen, religiösen Haushalt auf. Er fühlte sich oft einsam und unverstanden, ein Gefühl, das er später meisterhaft in seine Rollen einbrachte. Er wollte schon früh Schauspieler werden, doch seine Eltern rieten ihm ab. Er studierte zunächst Kunst, bevor er seiner Leidenschaft folgte und an die RADA ging.

John Hurt war kein gewöhnlicher Schauspieler. Er war eine Naturgewalt. Er hatte ein Gesicht, das „gelebt“ aussah, voller Falten und Charakter, und eine Stimme, die man unter Tausenden erkannte – tief, kiesig, reich an Resonanz, oft beschrieben als „wie dunkler Honig und Schotter“.

Der Meister des Leidens

Hurt wurde berühmt durch Rollen, die extreme menschliche Zerbrechlichkeit und Würde zeigten. Seine Darstellung des Quentin Crisp in The Naked Civil Servant (1975) war revolutionär und brach Tabus im Umgang mit Homosexualität im Fernsehen.

Weltruhm erlangte er durch zwei ikonische Rollen: Als Kane in Alien (1979) war er das erste Opfer des Xenomorphs – die Szene, in der das Alien aus seiner Brust bricht, ist einer der berühmtesten Momente der Filmgeschichte.

Doch seine vielleicht größte Leistung war die Rolle des John Merrick in Der Elefantenmensch (1980). Unter zentnerweise Make-up, unfähig, sein Gesicht zu bewegen, spielte er nur mit seinen Augen und seiner Stimme. Er brachte das Publikum zum Weinen, nicht aus Mitleid, sondern aus Respekt vor der Menschlichkeit der Figur.

Er war Winston Smith in der Verfilmung von 1984, der Zauberstabmacher Mr. Ollivander in Harry Potter und der Diktator Sutler in V for Vendetta. Er konnte alles spielen, vom zerbrechlichsten Opfer bis zum grausamsten Tyrannen.

Der unerwartete Doktor

Dass John Hurt der Doktor wurde, war ein glücklicher Zufall. Christopher Eccleston (der neunte Doktor) hatte abgelehnt, im 50. Jubiläumsspecial mitzuspielen. Steven Moffat musste das Drehbuch umschreiben und erfand die Figur des Kriegsdoktors, um die Lücke zu füllen. Er brauchte einen Schauspieler mit sofortiger Gravitas, jemanden, dem man abnahm, dass er 400 Jahre Krieg in den Knochen hatte.

Moffat fragte John Hurt, erwartete aber eine Absage. Hurt sagte ja. Er kannte die Serie zwar kaum, aber er mochte das Konzept des „grumpy old man“ und die moralische Tiefe der Geschichte.

Am Set mit den „Kindern“

Die Dreharbeiten zu Der Tag des Doktors waren für Hurt ein Vergnügen. Obwohl er eine Legende war und viel älter als David Tennant und Matt Smith, integrierte er sich sofort. Er war bescheiden, professionell und hatte einen trockenen Humor. Er genoss es sichtlich, den Gegenpol zu den jungen, herumspringenden Doktoren zu spielen. Er nahm die Rolle ernst – für ihn war es keine Kinderserie, sondern ein Drama über Schuld und Erlösung.

Die Fans liebten ihn sofort. Er legitimierte die Serie auf eine Weise, wie es nur ein Ritter des britischen Reiches (er wurde 2015 zum Sir geschlagen) konnte.

Der letzte Kampf

Tragischerweise wurde bei John Hurt im Jahr 2015 Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert. Doch wie der Krieger, den er spielte, gab er nicht auf. Er arbeitete weiter. Er nahm noch mehrere Hörspiele für „Big Finish“ auf, in denen er dem Kriegsdoktor noch mehr Facetten verlieh. Er drehte Filme wie Jackie und Darkest Hour.

Er sprach offen über seine Sterblichkeit. In einem Interview sagte er: „Wir sind alle nur auf der Durchreise. Ich hoffe, ich habe meine Zeit gut genutzt.“

Sir John Hurt starb am 25. Januar 2017, drei Tage nach seinem 77. Geburtstag. Sein Tod löste weltweit Trauer aus.

Er hatte nur einen einzigen TV-Auftritt als Doktor, aber dieser eine Auftritt reichte, um ihn unsterblich zu machen. Er war der Doktor, der vergaß, dass er ein Held war, damit wir uns daran erinnern konnten.


 

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