
Der 4. Doktor
Tom Baker
Wenn man eine zufällige Person auf der Straße bittet, den „Doctor Who“ zu zeichnen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Ergebnis lockige Haare, weit aufgerissene Augen, einen Schlapphut und einen lächerlich langen, bunten Schal zeigt. Für eine ganze Generation – und weit darüber hinaus – ist der vierte Doktor die definitive Version des Time Lords. Er löste die militärische Strenge und das irdische Exil seines Vorgängers ab und führte die Serie in ihr Goldenes Zeitalter. Er war unberechenbar, charmant, furchteinflößend und zutiefst außerirdisch.
Teil I: Der Wanderer mit den Jelly Babies
Eine Explosion der Exzentrik
Die Regeneration vom dritten zum vierten Doktor war mehr als nur ein körperlicher Wechsel; es war eine Befreiung. Als der Doktor sich von der Strahlenvergiftung auf Metebelis III erholte, erwachte er mit neuer Energie und einem völlig neuen Kleiderschrank. Er verwarf die Samtjacken und rüschigen Hemden und entschied sich für einen Look, der wie zufällig zusammengewürfelt wirkte: ein brauner Filzhut, ein weiter Mantel mit Taschen, die größer waren als physikalisch möglich, und natürlich der Schal. Dieser Schal, gestrickt von einer übereifrigen Dame namens Madame Nostradamus (so die Legende), war so lang, dass er ständig zur Stolperfalle wurde, aber er wurde zum ultimativen Markenzeichen.
Dieser neue Doktor war kein Dandy und kein Soldat. Er war ein Bohème, ein kosmischer Vagabund. Seine Stimmung konnte in Sekundenschnelle umschlagen: In einem Moment bot er einem Feind mit einem entwaffnenden Lächeln ein „Jelly Baby“ (eine britische Süßigkeit, auf deutsch mit „Gummibärchen“ übersetzt) an, im nächsten Moment donnerte seine tiefe Stimme mit der Autorität eines Gottes, der ganze Zivilisationen brennen sah. Er war der unberechenbarste aller Doktoren, der über Witze lachte, die niemand verstand, und ernst wurde, wenn alle anderen lachten.
Das Goldene Zeitalter des Gothic Horror
Die frühen Jahre des vierten Doktors, unter der Leitung von Produzent Philip Hinchcliffe, gelten als der Höhepunkt der klassischen Serie. Der Ton wurde düsterer, gruseliger und erwachsener. Der Doktor bewegte sich durch Geschichten, die stark vom klassischen Horror inspiriert waren: Frankenstein, Mumien, körperfressende Pflanzen.
In Die Arche im Weltraum kämpfte er gegen die Wirrn, riesige Insekten, die Menschen als Wirtskörper nutzten. In Pyramids of Mars trat er gegen Sutekh an, einen ägyptischen Gott von solcher Macht, dass der Doktor selbst zugab, Angst zu haben.
Der wohl berühmteste Moment ereignete sich in Genesis der Daleks. Die Time Lords schickten ihn zurück zum Planeten Skaro, um die Erschaffung der Daleks zu verhindern oder ihre Entwicklung zu verändern. Der Doktor hielt zwei Drähte in der Hand, die das gesamte Dalek-Projekt vernichten konnten. Doch er zögerte. „Habe ich das Recht?“ fragte er. „Habe ich das Recht, eine ganze Spezies auszulöschen, egal wie böse sie ist?“ Er entschied sich dagegen, ein moralisches Dilemma, das die Tiefe seines Charakters definierte. Er war kein Mörder, selbst wenn es das Universum sicherer gemacht hätte.
Begleiter, Roboterhunde und Time Lords
Der vierte Doktor hatte die längste Dienstzeit und somit viele Begleiter, aber keine Beziehung war so ikonisch wie die zu Sarah Jane Smith. Sie waren beste Freunde, Seelenverwandte, die durch das Universum rannten, Hand in Hand. Als Sarah Jane schließlich gehen musste (in The Hand of Fear), weil der Doktor nach Gallifrey gerufen wurde, war es einer der emotionalsten Abschiede der Serie. Er setzte sie in Aberdeen ab (obwohl sie nach London wollte) und fuhr allein weiter.
Doch er blieb nicht lange allein. Er reiste mit Harry Sullivan, einem etwas tollpatschigen Arzt, und später mit Leela, einer wilden Kriegerin vom Stamm der Sevateem. Leela war das Gegenteil des intellektuellen Doktors; sie löste Probleme mit vergifteten Dornen und Messern, was den Doktor oft zur Verzweiflung brachte („Keine Waffen, Leela!“).
Und dann war da K-9, der mobile Computer in Form eines Hundes. Während der Doktor K-9 oft als nützlich, aber nervig empfand, liebten die Kinder den Roboterhund abgöttisch.
Später kam Romana hinzu, eine Time Lady. Im Gegensatz zu früheren Begleitern war sie so schlau wie er (akademisch sogar schlauer) und ließ sich nicht herumkommandieren. Ihre erste Inkarnation war elegant und kühl, ihre zweite (Romana II) war abenteuerlustiger und entwickelte eine tiefe, fast romantische Chemie mit dem Doktor.
Der Fall vom Turm
Nach sieben Jahren, in denen er das Universum vor Vampiren, dem Schwarzen Wächter und dem wahnsinnigen Wissenschaftler Davros gerettet hatte, begann der Doktor zu spüren, dass seine Zeit ablief. Eine mysteriöse, weiße Gestalt, der „Wächter“ (The Watcher), begann ihm zu folgen.
In seiner letzten Geschichte, Logopolis, musste der Doktor den Master daran hindern, das Universum mit Entropie zu fluten. Der Kampf führte sie auf das Pharos-Projekt, ein riesiges Radioteleskop auf der Erde. Der Doktor stürzte vom Gantry in die Tiefe.
Am Boden liegend, umringt von seinen letzten Begleitern Adric, Nyssa und Tegan, blickte er auf den Wächter, der mit ihm verschmolz. Mit einem letzten, fast beruhigenden Lächeln sagte er: „Es ist das Ende. Aber der Moment wurde vorbereitet.“ Die lockigen Haare verschwanden, und ein jüngeres, blondes Gesicht erschien. Die Ära des Riesen war vorbei.
Teil II: Tom Baker – Die Naturgewalt
Vom Mönch zum Bauarbeiter
Thomas Stewart Baker wurde am 20. Januar 1934 in Liverpool geboren. Seine Herkunft war einfach, geprägt von der Arbeiterklasse und einem tiefen katholischen Glauben. Als junger Mann trat er in ein Kloster ein und war sechs Jahre lang Mönch. Er lebte in Schweigen und Gebet. Doch er merkte, dass dies nicht sein Weg war; der Drang, sich auszudrücken, war zu groß. Er verlor seinen Glauben und trat aus dem Orden aus – ein radikaler Schritt, der ihn ziellos zurückließ.
Er diente kurz in der Armee und wandte sich dann der Schauspielerei zu. Aber der Erfolg ließ auf sich warten. Um über die Runden zu kommen, arbeitete er auf dem Bau. Es gibt die berühmte Anekdote, dass er gerade Zement mischte, als er den Brief an die BBC schrieb, der ihm schließlich ein Vorsprechen verschaffte. Zu dieser Zeit hatte er zwar eine Rolle als der böse Zauberer Koura im Film The Golden Voyage of Sinbad gespielt, war aber der breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt.
„Ich bin der Doktor“
Als er 1974 die Rolle bekam, war er entschlossen, sie nicht nur zu spielen, sondern sie zu leben. Tom Baker war ein „Method Actor“ der extremsten Sorte. Für ihn gab es kaum eine Trennung zwischen Tom Baker und dem Doktor. Er trug das Kostüm oft privat, ging in Schulen, um mit Kindern zu sprechen, und verhielt sich am Set genauso exzentrisch wie vor der Kamera.
Er war brillant, aber er war nicht einfach. Baker war dominant. Er hatte starke Meinungen zu den Drehbüchern und schrieb oft Szenen um oder improvisierte Dialoge, sehr zum Ärger der Autoren und Regisseure. Er sah sich als den Hüter der Figur. Seine Philosophie war einfach: Der Doktor ist der Held, er darf niemals langweilig sein, und er darf niemals die zweite Geige spielen.
Seine Beziehung zu seinen Co-Stars war wechselhaft. Mit Elisabeth Sladen (Sarah Jane) verband ihn eine tiefe Freundschaft. Mit Louise Jameson (Leela) stritt er sich anfangs oft, da er den Charakter der „Wilden“ unpassend fand, entwickelte aber später Respekt für sie.
Liebe am Set und hinter den Kulissen
Die intensivste Beziehung hatte er mit Lalla Ward, die die zweite Inkarnation von Romana spielte. Die Chemie auf dem Bildschirm war echt. Sie verliebten sich, heirateten 1980 – und die Ehe hielt nur 16 Monate. Es war eine Beziehung zweier starker Persönlichkeiten, die sich liebten, aber nicht zusammenleben konnten. Baker sagte später ironisch: „Wir waren glücklich, bis wir heirateten.“
Der lange Abschied
Tom Baker spielte den Doktor sieben Jahre lang – länger als jeder andere Schauspieler vor oder nach ihm. In dieser Zeit erreichte Doctor Who Einschaltquoten von bis zu 16 Millionen Zuschauern (zum Vergleich: heute gelten 6 Millionen als Erfolg). Er wurde zur Ikone.
Doch 1980 übernahm ein neuer Produzent, John Nathan-Turner (JNT). JNT wollte die Serie modernisieren, die Comedy reduzieren und dem Doktor ein neues, scharlachrotes Kostüm geben. Baker hasste das neue Outfit und die neue Richtung. Er fühlte sich fremd in seiner eigenen Serie. Er realisierte, dass er zu lange geblieben war, und kündigte seinen Abschied an. Es fiel ihm schwer; die Rolle aufzugeben, war für ihn wie ein kleiner Tod.
Das Leben nach der TARDIS
Nach seinem Ausstieg zog sich Baker zunächst zurück. Er wollte nicht als „Ex-Doktor“ abgestempelt werden, aber genau das passierte. Große Filmrollen blieben aus. Er lehnte es ab, im Jubiläumsspecial Die Fünf Doktoren (1983) mitzuspielen (seine Szenen wurden aus altem Material zusammengeschnitten), weil er fand, es sei zu früh, um zurückzukehren.
Stattdessen fand er eine neue Nische: Seine Stimme. Tom Baker hat eine der markantesten Stimmen Großbritanniens – tief, sonor, donnernd und voller Schalk. Er wurde der Erzähler der Comedy-Serie Little Britain, was ihn einer ganz neuen Generation bekannt machte, die ihn vielleicht nie als Doktor gesehen hatte.
Die Rückkehr des Königs
Im Laufe der Jahre versöhnte sich Baker mit seiner Vergangenheit. Er begann, Hörspiele für „Big Finish“ aufzunehmen, und schlüpfte dort wieder in die Rolle des vierten Doktors, mit derselben Energie wie dreißig Jahre zuvor.
Der magischste Moment ereignete sich jedoch zum 50. Jubiläum der Serie im Jahr 2013. In der Episode Der Tag des Doktors tauchte er ganz am Ende auf. Nicht als der vierte Doktor, sondern als der mysteriöse „Kurator“ des Museums. Als er auf den elften Doktor (Matt Smith) traf, war es ein elektrisierender Moment. Der alte Mann mit den funkelnden Augen und der tiefen Stimme deutete an, dass er eine zukünftige, pensionierte Version des Doktors sei, der sich ein altes „Lieblingsgesicht“ wieder ausgesucht habe.
Dieser kurze Auftritt rührte Millionen Fans weltweit zu Tränen. Es war die Bestätigung: Tom Baker ist, war und bleibt der ultimative Doktor. Auch heute, mit über 90 Jahren, ist er noch immer aktiv, schreibt Romane (so exzentrisch wie er selbst) und genießt seinen Status als lebende Legende.


