Der 12. Doktor
Peter Capaldi
Als der elfte Doktor seine Fliege ablegte und in einem goldenen Licht verging, starrte uns plötzlich ein Paar wilder Augen an. Die sanften Märchen waren vorbei. Der neue Mann in der TARDIS hatte keine Lust auf Fischstäbchen mit Vanillesoße. Er hatte schottischen Akzent, graue Haare, tiefe Falten und – wie er selbst bemerkte – „Angriffsbrauen“, die man abnehmen könnte, um damit Flaschen zu öffnen. Der zwölfte Doktor war ein Schock für das System. Er war kein Freund, den man knuddeln wollte. Er war eine Naturgewalt, gefährlich, unberechenbar und auf der Suche nach einer Antwort auf die wichtigste Frage seines Lebens: „Bin ich ein guter Mann?“
Teil I: Der Magier ohne Geduld
Die Identitätskrise
Der zwölfte Doktor begann seine Existenz in einem Zustand völliger Verwirrung. Eine Zeit lang wusste er nicht einmal, wie man die TARDIS fliegt. Doch als sich der Nebel der Regeneration lichtete, kam eine Persönlichkeit zum Vorschein, die radikal anders war als ihre Vorgänger. Er war schroff, pragmatisch und sozial inkompetent. Er verabscheute „Geplänkel“, hasste Soldaten und hatte für menschliche Sentimentalitäten wenig übrig. Umarmungen waren ihm ein Graus („Vertrau mir niemals, wenn ich dich umarme, dann verstecke ich nur mein Gesicht“).
Sein Outfit spiegelte diese Härte wider: Ein weißes Hemd, zugeknöpft bis oben, kein Schlips, darüber eine dunkle Jacke mit rotem Innenfutter und schwere Doc-Martens-Stiefel. „Kein Schal, kein Krimskrams, einfach 100% Rebell Time Lord“, so beschrieb er es. Er sah aus wie ein Magier, der gerade von einer Beerdigung kommt.
Clara Oswald und der Hybrid
Seine Beziehung zu Clara Oswald war wohl die komplexeste und intensivste der modernen Serie. Für Clara war der Wechsel ein Schock; ihr „fester Freund“ war plötzlich ein alter, griesgrämiger Schotte geworden. Sie mussten lernen, sich neu zu mögen.
Ihre Dynamik entwickelte sich von Lehrer und Schülerin zu etwas Gefährlichem. Sie wurden süchtig nach der Gefahr. Der Doktor brachte Clara dazu, ihm immer ähnlicher zu werden – risikofreudig, brillant und rücksichtslos. In der neunten Staffel wurde ihre Bindung toxisch. Sie waren bereit, das Universum füreinander zu verbrennen.
Als Clara durch ihre eigene Übermut starb (in Das Schattenquartier), brach der Doktor alle seine eigenen Regeln. Er verbrachte 4,5 Milliarden Jahre in einer Folterkammer (in der Meisterwerk-Episode Die Angst des Doktors), nur um nach Gallifrey zurückzukehren und die Zeitgesetze zu brechen, um sie zu retten. Am Ende mussten sie einsehen, dass sie zusammen eine Gefahr für die Realität waren – der prophezeite „Hybrid“. Clara löschte schließlich die Erinnerungen des Doktors an sie, damit sie sich trennen konnten.
Die Rede gegen den Krieg
Trotz seiner anfänglichen Kälte entwickelte sich der zwölfte Doktor zum moralischen Gewissen des Universums. Kein anderer Doktor hielt so kraftvolle Reden. Der Höhepunkt war seine Rede in Die Inversion der Zygonen. Vor zwei Parteien stehend, die kurz davor waren, einen Krieg zu beginnen, flehte er sie an, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.
„Ich habe Kriege gesehen, in denen ihr nicht mal lange genug leben würdet, um den ersten Schuss zu hören!“, schrie er. „Und wisst ihr, was man am Ende tut? Man setzt sich hin und redet! Warum tut ihr das nicht einfach, bevor die Leute sterben?“ In diesem Moment zeigte sich, dass seine Härte nur eine Rüstung war, um ein Herz zu schützen, das zu viel Leid gesehen hatte.
Der Professor und Missy
In seinen späteren Jahren wurde der Doktor weicher. Er lebte fast 70 Jahre lang auf der Erde, arbeitete als Universitätsprofessor in Bristol und bewachte einen mysteriösen Tresor.
Er nahm eine neue Begleiterin an: Bill Potts, eine junge Frau, die in der Kantine arbeitete. Bill war erfrischend normal, stellte die richtigen Fragen und weckte im Doktor wieder den geduldigen Lehrer. Er wurde eine Art Großvaterfigur für sie.
Gleichzeitig versuchte er das Unmögliche: Er wollte Missy (den weiblichen Master) rehabilitieren. Er glaubte fest daran, dass seine älteste Freundin gut werden könnte. Sie machten Fortschritte, sie standen kurz davor, wieder auf derselben Seite zu stehen. Doch das Schicksal war grausam.
Ein Ende ohne Belohnung
Sein letztes Gefecht in Der Doktor fällt war eines der tragischsten. Auf einem riesigen Kolonieschiff, das auf ein Schwarzes Loch zusteuerte, kämpfte er gegen eine Armee von Cybermen, um eine kleine Gruppe von Bauernkindern zu beschützen.
Er wusste, dass er nicht gewinnen konnte. Missy hatte ihn (scheinbar) verlassen. Bill war in einen Cyberman verwandelt worden. Doch er kämpfte weiter. „Ich tue das nicht, weil ich gewinnen will“, erklärte er den Mastern (ja, es waren zwei da). „Ich tue es, weil es nett ist.“
Er sprengte eine ganze Ebene des Schiffes und starb in den Flammen, nur um von Bill (die durch eine kosmische Pfütze gerettet wurde) zurück in die TARDIS gebracht zu werden.
Aber er wollte nicht mehr. Er war müde. Er weigerte sich zu regenerieren. Er wollte, dass es vorbei ist. Erst ein Treffen mit seiner allerersten Inkarnation in einer gefrorenen Sekunde der Zeit gab ihm den Mut zurück.
In seiner letzten Ansprache an sein zukünftiges Ich fasste er seine gesamte Philosophie zusammen: „Lauf schnell. Lach viel. Sei niemals grausam, sei niemals feige. Und iss niemals Birnen!“
Dann ließ er los, und die explosive Energie verwandelte ihn in eine Frau – den dreizehnten Doktor.
Teil II: Peter Capaldi – Der ultimative Fan
Ein Leben lang vorbereitet
Peter Dougan Capaldi wurde am 14. April 1958 in Glasgow, Schottland, geboren. Seine Familie hatte italienische Wurzeln und verkaufte Eiscreme.
Es ist unmöglich, über Peter Capaldi zu sprechen, ohne zu erwähnen, was für ein gigantischer Doctor Who-Nerd er ist. Er war kein Gelegenheitszuschauer; er war besessen. Als Teenager im Jahr 1974 schrieb er Leserbriefe an die Radio Times, in denen er die Qualität der Episoden analysierte. Er bombardierte das Produktionsbüro der BBC so oft mit Briefen, dass die Sekretärin ihn angeblich auf eine Liste von „nervigen Fans“ setzte. Er wollte sogar den offiziellen Fanclub leiten (verlor die Wahl aber knapp).
Er entschied sich, Schauspieler zu werden, inspiriert von Peter Cushing (der den Doktor in zwei Kinofilmen spielte). Er besuchte die Kunsthochschule, wo er Leadsänger einer Punk-Band namens „The Dreamboys“ war – am Schlagzeug saß übrigens der spätere Late-Night-Talker Craig Ferguson.
Vom Oscar zum Kult-Flucher
Bevor er vor der Kamera berühmt wurde, gewann Capaldi etwas, wovon die meisten nur träumen: einen Oscar. 1995 erhielt er den Academy Award für den besten Kurzfilm (Franz Kafka’s It’s a Wonderful Life), den er geschrieben und inszeniert hatte.
Doch in Großbritannien wurde er durch eine ganz andere Rolle zur Legende: Malcolm Tucker in der Politsatire The Thick of It. Tucker war ein aggressiver, furchterregender Spindoktor, dessen Beleidigungen so kreativ und vulgär waren, dass sie in den britischen Sprachgebrauch eingingen.
Als bekannt wurde, dass Capaldi der neue Doktor wird, war die erste Reaktion im Internet: „Wird er die Daleks beschimpfen?“ Es war ein radikaler Imagewechsel – vom Mann, der für das „F-Wort“ bekannt war, zum Helden einer Kinderserie.
Die Erfüllung eines Traums
Capaldi hatte die Hoffnung, den Doktor zu spielen, eigentlich schon aufgegeben. Er dachte, er sei zu alt, und die BBC wolle nur noch junge Models. Er hatte sogar schon in der Serie mitgespielt – als römischer Bildhauer Caecilius in der Tennant-Ära (Die Feuer von Pompeji) und als Bürokrat in der Spin-off-Serie Torchwood.
Als sein Agent anrief, war Capaldi gerade in Prag bei Dreharbeiten. Er musste das Casting heimlich in seinem Hotelzimmer machen. Als er die Rolle bekam, war er 55 Jahre alt – genau dasselbe Alter wie William Hartnell, als dieser begann. Der Kreis hatte sich geschlossen.
Der Künstler in der TARDIS
Peter Capaldi brachte seine künstlerische Ader in die Rolle ein. Er bestand darauf, dass der Doktor E-Gitarre spielt (Capaldi ist ein exzellenter Gitarrist). Er wollte, dass sein Kostüm schlicht ist, damit Kinder es einfach nachmachen können („einfach Papas Hemd zuknöpfen“).
Er war bekannt dafür, sich extrem intensiv mit den Drehbüchern auseinanderzusetzen. Steven Moffat sagte, Capaldi sei der einzige Schauspieler, der ihn dazu brachte, Szenen umzuschreiben, weil Capaldis verärgerter Blick in den Proben so vernichtend war, wenn ein Dialog nicht stimmte.
Der Abschied und das Vermächtnis
Capaldi blieb drei Staffeln. Wie viele vor ihm fürchtete er, in der Routine zu erstarren. Er sagte: „Ich möchte nicht der Typ sein, der nur noch zur Arbeit geht und die Schlagworte aufsagt. Der Doktor verdient das Beste.“
Der Abschied fiel ihm extrem schwer. Bei seiner letzten Szene war er so emotional, dass sie mehrere Takes brauchten.
Privat zeigte er immer wieder, dass er das Herz des Doktors auch im echten Leben trägt. Ein Video ging viral, in dem er als Doktor einem kleinen Jungen Trost spendete, der seine Oma verloren hatte, indem er ihm erklärte, dass nichts im Universum jemals wirklich verloren geht.
Peter Capaldi wird oft als der „Doktor der Schauspieler“ bezeichnet. Seine Darstellung war weniger auf Massenmarkt-Charme ausgelegt, sondern auf pure, rohe Emotion und Intelligenz. Er nahm die Rolle ernst, ehrte die Geschichte (besonders die von Hartnell) und gab uns einen Doktor, der uns lehrte, dass Freundlichkeit keine Schwäche ist, sondern eine Entscheidung, die man jeden Tag aufs Neue treffen muss – auch wenn keine Hoffnung besteht.



