Der erste Doktor
William Hartnell
Wenn wir heute an Doctor Who denken, sehen wir ein Universum voller komplexer Zeitlinien, unzähliger Inkarnationen und epischer Schlachten. Doch all das begann in einem nebligen London des Jahres 1963, auf einem Schrottplatz in der Totter’s Lane, mit einem alten, griesgrämigen Mann in edwardianischer Kleidung. Dies ist die Geschichte des ersten Doktors – des Originals – und von William Hartnell, dem Schauspieler, der das Unmögliche möglich machte.
Teil I: Der Wanderer im vierdimensionalen Raum
Der mysteriöse Großvater
Bevor er zum Helden wurde, war der erste Doktor vor allem eines: ein Mysterium und ein Flüchtling. Er war kein strahlender Retter, der vom Himmel fiel, um Planeten zu beschützen. Er war ein alter Mann, der mit seiner Enkelin Susan von seinem Heimatplaneten Gallifrey geflohen war. Sie stahlen eine Typ-40-TARDIS, eine Zeitmaschine, die eigentlich in einem Museum hätte stehen sollen, und verschwanden in die Unendlichkeit.
Als wir ihn zum ersten Mal trafen, war der Doktor weit davon entfernt, der moralische Kompass des Universums zu sein. Er war arrogant, herablassend, ungeduldig und bisweilen rücksichtslos. Als die Lehrer Ian Chesterton und Barbara Wright ihm und Susan in die TARDIS folgten, um dem Geheimnis ihrer ungewöhnlichen Schülerin auf die Spur zu kommen, entführte der Doktor sie kurzerhand. Er tat dies nicht aus Bosheit, sondern aus reinem Selbsterhaltungstrieb; er konnte nicht riskieren, dass sie sein Geheimnis auf der Erde verrieten.
In diesen frühen Tagen zeigte sich eine dunkle Seite. In der Steinzeit, als die Gruppe von Höhlenmenschen bedroht wurde, hob der Doktor einen Stein, bereit, einen verletzten Mann zu erschlagen, weil dieser ihre Flucht verlangsamte. Es waren Ian und Barbara, die menschlichen Begleiter, die ihm Einhalt geboten. Dies war der entscheidende Wendepunkt seiner Charakterentwicklung: Durch die Augen seiner menschlichen Begleiter lernte dieser hochintelligente, aber emotional distanzierte Time Lord (ein Begriff, der erst viel später fallen sollte), was es bedeutet, moralisch zu handeln, Mitleid zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen.
Reisen durch Zeit und Raum
Die Reisen des ersten Doktors waren geprägt von der Unberechenbarkeit seiner Maschine. Der Navigationscomputer war defekt, und der Chamäleon-Schaltkreis, der die TARDIS tarnen sollte, brannte bei der Landung in London 1963 durch, wodurch das Schiff für immer die Form einer blauen Polizeizelle behielt.
Seine Abenteuer teilten sich grob in zwei Kategorien: die reine Geschichte und die Science-Fiction. Der Doktor, der sich selbst als Wissenschaftler sah, reiste zu den Azteken, in die Zeit der Französischen Revolution, zu Marco Polo und ins Rom von Kaiser Nero. In diesen Geschichten versuchte er oft verzweifelt, die Geschichte nicht zu verändern – ein Prinzip, das Barbara bei den Azteken fast gebrochen hätte, als sie versuchte, Menschenopfer zu verhindern. Der Doktor lehrte sie schmerzhaft, dass man „die Geschichte nicht umschreiben kann, nicht eine Zeile“.
Doch die wahren Prüfungen warteten im All. Auf dem Planeten Skaro traf er auf die Kreaturen, die sein Schicksal und das der Serie besiegeln sollten: die Daleks. Es war die wissenschaftliche Neugier des Doktors, die die Gruppe in die Stadt der Daleks führte und sie fast das Leben kostete. Diese Begegnung zementierte seine Rolle als Kämpfer gegen Tyrannei. Er war kein Soldat, er verabscheute Waffen, aber er nutzte seinen scharfen Verstand, um Unterdrücker zu überlisten.
Die wechselnden Gesichter der Begleitung
Lange Zeit reiste er mit dem ursprünglichen Team: Susan, Ian und Barbara. Doch das Leben in der TARDIS forderte seinen Tribut. Susan verliebte sich auf der kriegsverwüsteten Erde des 22. Jahrhunderts und der Doktor traf die herzzerreißende Entscheidung, sie zurückzulassen. Er schloss die TARDIS-Türen, damit sie ein normales Leben führen konnte, und versprach ihr: „Eines Tages werde ich zurückkommen.“ Dies zeigte die tiefe, verborgene Liebe unter seiner schroffen Schale.
Ian und Barbara kehrten schließlich mit einer Dalek-Zeitmaschine zur Erde zurück. Der Doktor war nun allein, doch nicht lange. Neue Gesichter kamen: Vicki, ein junges Mädchen aus der Zukunft, das für ihn zu einer Art Ersatz-Enkelin wurde; Steven Taylor, ein gestrandeter Raumpilot mit einem starken Willen; und Katarina, eine Dienerin aus dem antiken Troja. Katarinas Schicksal war tragisch – sie opferte sich im All, um die anderen zu retten, der erste Tod einer Begleiterin, der den Doktor tief erschütterte.
Gegen Ende seiner Ära reiste er mit Dodo Chaplet und schließlich mit Polly und dem Matrosen Ben Jackson. Zu dieser Zeit wurde der Doktor körperlich schwächer. Seine Kräfte ließen nach, sein Körper wurde „ein wenig dünn“, wie er selbst bemerkte.
Das Ende und der Neubeginn
Das finale Abenteuer des ersten Doktors führte ihn zum Südpol der Erde im Jahr 1986, wo er auf die Cybermen vom Planeten Mondas traf. Während er die Cybermen besiegte, forderte das hohe Alter und die Erschöpfung ihren Tribut. Er brach in der TARDIS zusammen. Vor den ungläubigen Augen von Ben und Polly begann ein Prozess, den die Serie damals noch nicht „Regeneration“ nannte, sondern „Erneuerung“. Die Gesichtszüge des alten Mannes verschwammen, und als das Licht verblasst war, lag dort ein jüngerer Mann mit dunklen Haaren – der zweite Doktor. Der erste Doktor hatte seinen Körper aufgegeben, um weiterleben zu können.
Teil II: William Hartnell – Der Mann hinter der Maske
Ein schwieriger Start ins Leben
William Henry Hartnell wurde am 8. Januar 1908 in London geboren. Sein Start ins Leben war alles andere als einfach. Er wurde als uneheliches Kind geboren, was im edwardianischen England ein massives soziales Stigma bedeutete. Seinen Vater lernte er nie kennen; auf seiner Geburtsurkunde blieb das Feld leer. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und wurde größtenteils von einer Pflegemutter aufgezogen.
Diese harte Kindheit prägte Hartnell. Er war kein einfacher Mensch; er konnte aufbrausend und schwierig sein, eine Verteidigungshaltung, die er sich früh angeeignet hatte. Als junger Mann versuchte er sich in der Kleinkriminalität und als Jockey, bevor er seine wahre Berufung fand: die Schauspielerei. Das Theater bot ihm die Struktur und die Anerkennung, die ihm im wahren Leben oft fehlten.
Der Weg zum Charakterdarsteller
Hartnell arbeitete sich mühsam nach oben. Er war ein Perfektionist, ein Handwerker, der seinen Beruf extrem ernst nahm. Über die Jahre etablierte er sich im britischen Film und Fernsehen, allerdings in einer sehr spezifischen Schublade: Er spielte harte Kerle, Polizisten, Gangster und vor allem Feldwebel. Seine Rolle als Sergeant Grimshawe in Carry On Sergeant (1958) und in der Sitcom The Army Game machten ihn landesweit bekannt. Er war das Gesicht der Autorität – laut, strikt und humorlos.
Doch Hartnell war unglücklich. Er wusste, dass er mehr konnte als nur Befehle zu bellen. Er sehnte sich nach Rollen, die Tiefe und Emotionalität verlangten. Die Chance dazu bekam er in dem Film This Sporting Life (1963), wo er einen alternden Talentscout spielte. Es war eine leise, verletzliche Darstellung, die einer jungen Produzentin namens Verity Lambert auffiel.
Die Rolle seines Lebens
Als die BBC 1963 Doctor Who plante, suchten Verity Lambert und der Regisseur Waris Hussein nicht nach einem typischen Helden. Sie wollten einen älteren, charaktervollen Mann. Sie boten Hartnell die Rolle an. Anfangs zögerte er. Eine Kinderserie? Science-Fiction? Das schien unter seiner Würde. Doch Lambert, mit ihrer Vision und ihrem Charme, überzeugte ihn bei einem Mittagessen. Sie versprach ihm eine Rolle, die alle Facetten seines Könnens fordern würde: Komödie, Drama, Autorität und Zärtlichkeit.
Hartnell nahm an, und es war eine Entscheidung, die sein Leben veränderte. Er wurde der Doktor. Er liebte die Rolle abgöttisch. Besonders rührend war für ihn die Resonanz der Kinder. Der Mann, der als harter Sergeant bekannt war, bekam plötzlich fanpost von Kindern, die ihn als ihren magischen Großvater sahen. Er besuchte Krankenhäuser in seinem Kostüm und nahm seine Verantwortung als Vorbild sehr ernst.
Ruhm und Krankheit
Der Erfolg der Serie, besonders nach der Einführung der Daleks, war überwältigend. „Dalekmania“ erfasste Großbritannien, und Hartnell stand im Zentrum des Sturms. Doch der Erfolg hatte seinen Preis. Der Drehplan von Doctor Who war gnadenlos; fast das ganze Jahr über wurde wöchentlich eine Episode produziert und gesendet.
Hartnell litt an Arteriosklerose, einer Krankheit, die die Blutgefäße verengt. Dies führte zu Gedächtnislücken und Konzentrationsschwächen. Immer öfter vergaß er seine Zeilen oder verhaspelte sich – Fehler, die oft in der Sendung blieben und heute fälschlicherweise als bloße Marotten des Charakters („Billy-Fluffs“) abgetan werden, aber eigentlich Symptome seiner fortschreitenden Krankheit waren.
Zusätzlich kam es hinter den Kulissen zu Spannungen. Das ursprüngliche Produktionsteam, mit dem Hartnell eng verbunden war, verließ die Serie nach und nach. Mit den neuen Produzenten kam er weniger gut zurecht; er fühlte sich, als würde man ihm „seine“ Serie wegnehmen. Seine Launenhaftigkeit am Set nahm zu, oft aus Frustration über seine eigene schwindende Gesundheit.
Der Abschied
1966 wurde klar, dass Hartnell die körperlichen Anforderungen der Rolle nicht mehr erfüllen konnte. Es war eine tragische Situation: Er liebte den Doktor mehr als jede andere Rolle, aber sein Körper ließ ihn im Stich. Die Produzenten trafen die damals revolutionäre Entscheidung, die Hauptfigur nicht einfach neu zu besetzen, sondern die Veränderung als Teil der Biologie des Aliens zu erklären.
Hartnell stimmte dem zu, wenn auch schweren Herzens. Er schlug sogar Patrick Troughton als seinen Nachfolger vor, einen Schauspieler, den er respektierte. „Es gibt nur einen Mann in England, der übernehmen kann“, soll er gesagt haben. In seiner letzten regulären Geschichte, The Tenth Planet, war er bereits so krank, dass er in der dritten Episode gar nicht auftreten konnte und aus dem Drehbuch geschrieben wurde, bevor er für die Regenerationsszene in Episode 4 zurückkehrte.
Die Jahre danach
Nach Doctor Who zog sich Hartnell weitgehend zurück. Seine Gesundheit verschlechterte sich rapide. Er spielte noch einige Theaterrollen und trat in wenigen Fernsehsendungen auf, aber seine Kraft schwand.
1972 gelang der BBC jedoch ein letzter Coup. Für das zehnjährige Jubiläum, The Three Doctors, kehrte Hartnell zurück. Es war offensichtlich, wie krank er war. Er konnte nicht lange stehen und musste seine Szenen separat, sitzend und von Cue-Cards ablesend, drehen. Doch sobald die Kamera lief, war das Funkeln in den Augen wieder da. Er war noch immer der Doktor, der die anderen beiden Inkarnationen (Troughton und Jon Pertwee) zurechtwies. Es war sein letzter Auftritt als Schauspieler.
Das Vermächtnis
William Hartnell starb am 23. April 1975 im Alter von 67 Jahren an Herzversagen. Er starb, bevor Doctor Who zu dem globalen Phänomen wurde, das es heute ist, aber er wusste, dass er etwas Besonderes geschaffen hatte.
Ohne William Hartnell gäbe es kein Doctor Who. Er etablierte die Grundpfeiler der Figur: die Intelligenz, die Exzentrik, die Autorität und das verborgene goldene Herz. Er nahm ein vages Skript über einen alten Mann in einer Telefonzelle und formte daraus eine Ikone, die seit über 60 Jahren Bestand hat. Er war der Erste. Das Original.



