Der 9. Doktor
Christopher Eccleston
Das Jahr 2005 war ein Wendepunkt. Nach 16 Jahren Abwesenheit vom regulären Fernsehprogramm (abgesehen von dem einen Film) kehrte Doctor Who zurück. Doch die Welt hatte sich verändert, und der Doktor auch. Die bunte Exzentrik war verschwunden, ebenso wie die aristokratischen Samtjacken. Aus der Tür der TARDIS trat ein Mann mit geschorenen Haaren, einer abgewetzten Lederjacke und einem breiten nordenglischen Akzent. Er sah nicht aus wie ein Weltraumreisender. Er sah aus wie ein U-Boot-Kapitän, der gerade einen Krieg überlebt hat, den er eigentlich hätte verlieren sollen. Der neunte Doktor war da – und er war fantastisch.
Teil I: Der Überlebende mit der Lederjacke
Ein Gott mit posttraumatischer Belastungsstörung
Der neunte Doktor war eine offene Wunde. Er kam frisch aus dem Zeitkrieg (oder glaubte es zumindest). In seinem Kopf trug er die schreckliche Gewissheit, dass er sein eigenes Volk und seine Heimat Gallifrey vernichtet hatte, um das Universum vor den Daleks zu retten. Er war der einzige Überlebende seiner Spezies. Diese Einsamkeit definierte ihn.
Er war intensiv, fast manisch. Sein Lieblingswort war „Fantastisch!“, das er oft mit einem breiten, fast aggressiven Grinsen ausstieß, um die Dunkelheit in seinen Augen zu überspielen. Er war ungeduldig mit „dummen Affen“ (Menschen), verabscheute häusliches Geplänkel und hatte keine Zeit für Höflichkeiten. Er war ein Mann, der rannte, weil er Angst hatte, was passieren würde, wenn er stehen bliebe und nachdachte.
Doch unter der rauen Schale der Lederjacke schlug ein tief verletztes Herz, das sich danach sehnte, wieder zu fühlen. Er war kein Pazifist wie der fünfte Doktor oder ein Manipulator wie der siebte. Er war ein Retter, der Wiedergutmachung suchte.
Rose Tyler: Das rosa-gelbe Wunder
Die Geschichte des neunten Doktors ist untrennbar mit Rose Tyler verbunden. Als er sie in einem Londoner Kaufhaus vor lebenden Schaufensterpuppen (den Autons) rettete, fand er nicht nur eine Begleiterin, sondern seinen moralischen Kompass wieder. Rose war ein normales 19-jähriges Mädchen aus einer Sozialbausiedlung, ohne Abitur, aber mit einem riesigen Herzen und einer emotionalen Intelligenz, die dem Doktor fehlte.
Rose lehrte ihn, wieder Hoffnung zu haben. Sie bremste seine Wut. Sie nahm ihn an die Hand und zeigte ihm, dass das Universum nicht nur aus Krieg besteht. Ihre Beziehung war tief und unausgesprochen romantisch. Er verliebte sich nicht in sie wie ein Schuljunge, sondern klammerte sich an sie wie ein Ertrinkender an ein Rettungsboot.
Später stieß Captain Jack Harkness dazu, ein charmanter Zeitagent aus dem 51. Jahrhundert. Zusammen bildeten sie ein dynamisches Trio, das durch die Zeit tanzte. Der Doktor, der anfangs Jacks lockere Moral verurteilte, lernte durch ihn, wieder Spaß am Abenteuer zu haben.
Der Zorn eines Time Lords
Die dunkle Seite des neunten Doktors zeigte sich am deutlichsten in der Episode Dalek. Als er in einem unterirdischen Bunker im Jahr 2012 auf einen einzelnen, angeketteten Dalek traf, brach seine Fassade. Er verhöhnte ihn, schrie ihn an, spuckte vor Wut und wollte ihn foltern. „Warum bringst du dich nicht einfach um?“ schrie er den Dalek an. Es war ein schockierender Moment: Der Doktor war hier fast so hasserfüllt wie das Monster. Es war Rose, die ihn stoppte und ihm zeigte, dass Mitleid stärker ist als Rache.
Doch es gab auch Momente reiner Euphorie. In der Geschichte Das Leere Kind (im London des Blitzkriegs) gelang es ihm zum ersten Mal seit Ewigkeiten, wirklich jeden zu retten. Niemand starb. „Nur dieses eine Mal, Rose! Alle überleben!“ rief er voller Freude. Es war der Moment, in dem er begann, sich selbst zu vergeben.
Feigling oder Mörder?
Das Ende seiner kurzen Ära war monumental. In Getrennte Wege kehrten die Daleks zurück – eine ganze Flotte, angeführt vom wahnsinnigen Dalek-Imperator. Der Doktor stand vor derselben Wahl wie im Zeitkrieg: Er konnte die Daleks vernichten, aber dazu müsste er die Erde und alle Menschen darauf töten.
Diesmal entschied er sich anders. „Feigling oder Mörder?“ fragte der Imperator. „Feigling“, antwortete der Doktor und senkte die Waffe. Er war bereit zu sterben, statt noch einmal Massenmord zu begehen.
Doch Rose rettete ihn. Sie hatte in das Herz der TARDIS geblickt und die Zeit-Vortex absorbiert. Mit göttlicher Macht löschte sie die Daleks aus. Aber die Energie verbrannte sie. Um Rose zu retten, küsste der Doktor sie und sog die tödliche Energie in seinen eigenen Körper.
Er wusste, dass ihn das töten würde. In seinen letzten Momenten in der TARDIS war er ruhig, fast heiter. Er verabschiedete sich von Rose mit einem Lächeln, ohne ihr Angst zu machen. „Du warst fantastisch“, sagte er ihr. „Ganz ehrlich. Und weißt du was? Ich auch.“
Dann explodierte die goldene Energie aus ihm heraus, und seine Gesichtszüge veränderten sich zu denen eines jüngeren Mannes mit wilden Haaren.
Teil II: Christopher Eccleston – Der Mann mit Prinzipien
Ein Arbeiterklasse-Held
Christopher Eccleston wurde am 16. Februar 1964 in Salford, Greater Manchester, in eine Arbeiterfamilie geboren. Er war kein typischer Schauspielschüler. Er war intensiv, politisch engagiert und stolz auf seine Wurzeln. Er kämpfte sich durch die Schauspielschule und etablierte sich als einer der besten Charakterdarsteller Großbritanniens. Er spielte in Cracker, Shallow Grave und Our Friends in the North. Er war bekannt für ernste, düstere Rollen.
Warum Doctor Who?
Dass Eccleston die Rolle annahm, war eine Sensation. Er verlieh der Serie sofortige Glaubwürdigkeit. Er tat es nicht für das Geld oder den Ruhm, sondern weil er mit dem Autor Russell T Davies arbeiten wollte. Und er wollte eine Rolle spielen, die seine Neffen und Nichten sehen konnten.
Er nahm die Rolle todernst. Er weigerte sich, den Doktor als exzentrischen Clown zu spielen. Er wollte die Einsamkeit und die Schuld des Charakters erforschen. Er sagte: „Ich spiele ihn nicht als Verrückten. Ich spiele ihn als jemanden, der Dinge gesehen hat, die niemand sehen sollte.“
Der Bruch hinter den Kulissen
Auf dem Bildschirm war Eccleston brillant, aber hinter den Kulissen war er unglücklich. Die Produktion der ersten Staffel 2005 war chaotisch und pannenanfällig. Eccleston, der sehr hohe professionelle Standards hatte, war entsetzt darüber, wie die Crew behandelt wurde. Er sah Sicherheitsrisiken und schlechte Arbeitsbedingungen und legte sich mit der Regie und den Produzenten an. Er war der Meinung, dass die Führungsetage ihre Macht missbrauchte.
Nach nur einer Staffel entschied er sich zu gehen. Er wollte seine Prinzipien nicht verraten. „Ich hätte bleiben und das Geld nehmen können“, sagte er später, „aber ich hätte mich morgens nicht mehr im Spiegel ansehen können.“
Der Skandal um den Abschied
Was dann geschah, war hässlich. Als sein Ausstieg bekannt wurde, veröffentlichte die BBC ein Statement, in dem es hieß, Eccleston sei „müde“ und wolle nicht dem „Typecasting“ zum Opfer fallen. Dieses Statement war gelogen und wurde ohne sein Einverständnis veröffentlicht. Eccleston war wütend. Er fühlte sich verraten und auf die „Schwarze Liste“ gesetzt. Er verließ Großbritannien und arbeitete einige Jahre in den USA (z.B. in Heroes), weil er glaubte, die BBC würde ihn zu Hause nicht mehr besetzen.
Der Kampf gegen die eigenen Dämonen
Erst Jahre später, in seiner Autobiografie I Love the Bones of You (2019), enthüllte Eccleston die ganze Wahrheit über diese Zeit. Er kämpfte während der Dreharbeiten zu Doctor Who mit schwerer Anorexie und Körperdysmorphie. Er hungerte sich herunter, um dem Idealbild zu entsprechen, das er im Kopf hatte. „Der Doktor, den ihr auf dem Bildschirm seht, ist ein Mann, der am Rande des Zusammenbruchs steht“, schrieb er.
Später litt er unter schweren klinischen Depressionen, die so schlimm wurden, dass er sich 2016 in eine psychiatrische Klinik einweisen ließ, um sein Leben zu retten. Seine Offenheit über diese Themen hat ihm großen Respekt eingebracht und vielen Menschen geholfen.
Die späte Versöhnung
Über ein Jahrzehnt lang wollte Eccleston nichts mit Doctor Who zu tun haben. Er lehnte es ab, im 50. Jubiläumsspecial aufzutreten (weshalb der Kriegsdoktor erfunden wurde). Er besuchte keine Conventions. Der Schmerz saß zu tief.
Doch die Zeit heilte einige Wunden. Er begann, Conventions zu besuchen, und war überwältigt von der Liebe der Fans. Er realisierte, dass die Serie ihm gehörte, nicht den Produzenten, mit denen er gestritten hatte.
Im Jahr 2021 tat er das, was niemand mehr für möglich gehalten hatte: Er kehrte zurück. Zwar nicht ins Fernsehen, aber zu „Big Finish“. In neuen Hörspielen spricht er wieder den neunten Doktor. Man hört ihm an, wie sehr er es genießt, die Figur wiederzubeleben – diesmal zu seinen eigenen Bedingungen, mit Spaß und ohne den Druck von damals.
Das Vermächtnis
Christopher Eccleston rettete Doctor Who. Ohne seine Intensität, seine Ernsthaftigkeit und sein Talent hätte das Revival 2005 scheitern können. Er legte das Fundament, auf dem der massive globale Erfolg der Serie aufgebaut wurde. Er war nur 13 Episoden lang da, aber er hinterließ einen Eindruck, der für immer bleiben wird. Er war der Mann, der uns lehrte, dass es okay ist, kaputt zu sein, solange man versucht, fantastisch zu sein.


